Es ist eine wirklich spannende Frage, welche du uns stellst. UPC wird diese sicher nicht beantworten. Du hast recht: Die Zukunft liegt in der Glasfaser. Viele Kabelnetzbetreiber stellen sich aktuell die Frage wie es mit ihren Netzen mit Ursprungsjahr 1975 - 1985 weitergeht. Um diese Frage beantworten zu können, musst du verstehen, wie inhomogen und fragmentiert die Kabelnetze in der Schweiz sind. Mitte resp. Ende der 70er Jahre haben sich Bürger, Gemeinden aber auch Städte zu Antennengemeinschaften, Fernsehgemeinschaften, Fernsehgenossenschaften resp. zu sogenannten GGA’s (Grossgemeinschaftsantennenanlagen) zusammengeschlossen. Vereintes Ziel dieser Organisationen war die Verbreitung von möglichst hochwertigem analogem Kabelfernsehen und meist auch Radioprogrammen. So wurden aus Gemeinden, Städten oder Vereinen auf einmal Kabelnetzbetreiber. Jede Vereinigung oder GGA hat aber meist selbst etwas gewurstelt und in die Pflege der Netze in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger Geld investiert. Es gibt Netze, da wurden Koaxialkabel ohne Schutzrohre einfach vergraben und die Leitungen schlecht, bis gar nicht im Kataster dokumentiert, was sich jetzt natürlich rächt. Um dir einen Überblick über den Urwald von Kabelnetzen und Kabelnetzbetreibern in der Schweiz zu verschaffen, empfehle ich einen Blick in die Liste von Suisse Digital. Suisse Digital ist der Branchenverband der Kabelnetzbetreiber, welche aber auch Betreiber reiner Glasfasernetze umfasst. Bis heute gibt es diverse Gemeinde, welche noch ihr eigenes Kabelnetz besitzen und diese über separate Rechnungen an die Bürger verrechnen. Viele dieser Netze haben aber keine eigenständigen Angebote mehr, da die Aufwände mit Quadruple-Play (Internet, Festnetz, Fernsehen, Mobilnetz) einfach zu gross wurden. Die meisten Kabelnetze beziehen ihre Signale heute von UPC, Quickline oder Improware. Es gibt eine sehr fragmentierte Verflechtung von Kabelnetzbesitzern, “Vermittlern” (z.B Inter GGA) und den eigentlichen Signallieferanten (Quickline, UPC etc.). In den letzten 40 Jahren wurden die Netze auch gerne mal mehrfach verkauft oder zusammengelegt. Durch die Vielfalt und Diversität der Netze haben die Gebäude in der Schweiz eine sehr hohe Abdeckung mit Kabelnetzen (>70%), auch in ländlichen Regionen. Je nach Gemeinde sind solche Kabelnetze eine sehr emotionale Angelegenheit. So sind diverse Netze im Kanton Baselland, welche über Mauscheleien in den Gemeinden von Improware zu Inter GGA mit Quickline wechselten, jetzt wieder aus der Inter GGA ausgetreten und zurück zu Improware gewechselt.
Aber die Struktur, Topologie resp. Architektur und der Zustand der Netzte sind sehr unterschiedlich. Viele Kabelnetzbetreiber oder -besitzer überlegen sich aktuell den Verkauf oder den Umbau ihrer Netze zu reinen Glasfasernetzen resp. FTTH. Auch hinterfragen viele Gemeinden den Sinn und Zweck des Besitztums eines Kabelnetzes. In Zeiten von Replay TV und OTT-TV über Zattoo, Willma, Teleboy und Co. ist lineares TV stark aus der Mode geraten.
Als Kabelnetzbetreiber sind folgende Strategien möglich:
- Verkauf des Netzes an UPC, EBL Telecom, Improware, Inter GGA etc.
- So weiterbetreiben wie es ist, aber ohne Erweiterung oder Ausbau: Kapazität reicht aktuell noch knapp aus. Das Netz verliert jedes Jahr an Wettbewerbsfähigkeit und Wert. Neue Gebiete können meist nicht mehr erschlossen werden. Die Chance, das Netz zu einem vernünftigen Preis zu verkaufen, wird jedes Jahr geschmälert.
- Ausbau des bestehenden Kabelnetzes: Hier muss der Rückweg recht zügig angegangen werden und damit zahlreiche aktive und passive Komponenten im Netzwerk bis zur Kabeldose. Eine Erweiterung der Bandbreite des Rückwegs (204 MHz) und Erweiterung resp. Kompensation des Downstreams (1.2 GHz) sind prioritärer als Zellverkleinerungen resp. node splits.
- Migration auf FTTH resp. Glasfaser: Je nach Zeithorizont muss auch hier das Kabelnetz ggf. trotzdem noch optimiert und ausgebaut werden.
- Migration auf FTTB resp. Node + 0 (Micro-Node im Keller jedes Hauses): Keine Hausinstallation von Glasfaser in jede Wohnung notwendig und damit tiefere Kosten. Wichtig ist aber zu wissen, dass mehr Nodes nicht automatisch mehr Kapazität bedeutet. Nodes werden zu sogenannten Service Groups (SG’s) zusammengefasst. Je kleiner die Service Group, je mehr Kapazität steht zur Verfügung und je höher werden aber die Lizenzkosten fürs CMTS (Kopfstation). Oft kommt auch noch RFoG und damit analoge Übertragung über Glasfaser zum Einsatz. Mit remote PHY wird sich dies ändern, was allerdings neue Nodes, Lizenzen und ggf. Anpassungen am CMTS erforderlich machen.
Beim Ausbau auf FTTH werden meist zwei Strategien gefahren:
- “Open Access”: Die Gemeinde oder Kooperation tritt als reiner Vermieter der Infrastruktur auf und lässt verschiedene Anbieter aufs Netz (Init7, Sunrise, Salt). Manche gehen auch eine Kooperation mit der Swisscom ein, um die Auslastung und Nutzerzahlen ihrer Netze zu erhöhen. Ohne Swisscom ist ein Ausbau solcher Netze weit weniger wirtschaftlich, da immer noch viele Nutzer über die fragwürdigen “Glasfasertechnologien” (VDSL2, G.fast) der Swisscom angebunden werden. Hier ist die Zukunftsfähigkeit noch fragwürdiger als bei Kabelnetzen.
- Monopol: Ein Provider, meist Quickline, und dann noch über GPON. Solche Netze rechnen sich nur, wenn die Swisscom auf Grund langer Kupferleitungen kein wettbewerbsfähiges Angebot offerieren kann. Sonst wirds schwierig.
Andere Kabelnetzbetreiber wiederum (z.B WWZ, SASAG) setzen voll auf DOCSIS 3.1, verkleinern die Zellen, erweitern das Spektrum auf 1.2 GHz und machen im Upstream einen High-Split bei 204 MHz. WWZ hat in den letzten Jahren vermutlich am meisten in ihr Kabelnetz investiert. Damit lässt sich eine Zelle auf ca. 8 Gbit/s im Downstream (1 GHz Bandbreite) und 1.4 Gbit/s im Upstream (200 MHz Bandbreite) ausbauen. In dieser Zelle muss aber die komplette Bandbreite für DOCSIS 3.1 verwendet werden. Die Kanäle für UKW, DVB-C und DOCSIS 3.0 werden dabei vollständig abgebaut, was heute noch unrealistisch ist. UWK fliegt sowieso raus, aber DVB-C spielt bei vielen Kabelnetzbetreibern und der meist älteren Kundschaft immer noch eine tragende Rolle. Die genannten Datenraten gelten pro Zelle, sprich für 100 - 150 Haushalte. Die genannten 100 - 150 Haushalte sind bereits verkleinerte Zellen, deren Grösse früher bei 500 Haushalten pro Zelle liegen konnte. So wird auch schnell offensichtlich, dass Kabelnetze nicht mehr beliebig skalieren können, ohne dass der Netzbetreiber gewaltig Geld in die Hand nehmen muss. Aktuell lassen diverse Netzbetreiber ihre Netze einfach so weiterlaufen wie bisher. Die Frequenzen liegen bei maximal 862 MHz und der Rückkanal geht bis 65 MHz. Die Zellgrösse beträgt meist 300 - 500 Haushalte und DOCSIS 3.1 wurde auf der niedrigsten Sparflamme mit Ach und Krach implementiert. Ich habe es in diesem Forum schon mehrfach vorgerechnet: pro Zelle stehen bei UPC ca. 1800 Mbit/s im Downstream und ca. 130 Mbit/s im Upstream zur Verfügung, welche sich alle Kunden teilen. Kabelnetze sind heillos überbucht! Es ist reine Statistik resp. reiner Gleichzeitigkeitsfaktor, dass die Nutzer von dieser Überbuchung nicht viel mitbekommen, selbst wenn sie ihre Datenrate mit einem Speedtest nachmessen. Da die Resourcen im Kabelnetz so knapp sind, die vermarkteten Scheinbandbreiten ständig steigen und wenig Geld in den Ausbau der Netzte gesteckt wird, haben sind Kabelnetzbetreiber wahre Meister in der Kapazitätsplanung ihrer Netze geworden. Wenn wir jetzt mal annehmen, dass in einer Zelle bei 60 Kunden 30 × 100/10, 20 × 300/30 und 10 × 1000/100 Mbit/s Profile geschalten wurden, dann liegen wir bei einer verkauften Bandbreite von 19′000 Mbit/s im Downstream und 1900 Mbit/s im Upstream. Damit liegt die Überbuchung im Downstream bei 11:1 und im Upstream bei fast 15:1. Es ist also kein Wunder, dass Kabelnetze bei Belastungspeaks gerne mal einbrechen. Dieses Rechenbeispiel mit “nur” 60 Nutzern pro Zelle ist zudem eher eine Schönwetterprognose. Heute mag die Rechnung noch knapp aufgehen, da die wenigsten Nutzer die volle Bandbreite ihres Anschlusses je nutzen. Dies ändert sich in einigen Jahren aber rapide und notwendigen Bandbreiten wachsen stetig. Somit werden Kabelnetze über kurz oder lang an ihre Grenzen stossen. Jede Investition, welche jetzt noch in diese Netze getätigt wird, verlängert das Leben um wenige Jahre und ist nie so nachhaltig investiert, wie in ein Glasfasernetz. Wir sind bei Kabelnetzen mit DOCSIS 3.1 an einem ähnlichen Scheidepunkt wie bei G-fast im Telefonnetz der Swisscom angelangt: Es gibt mit DOCSIS 4.0 und XG-fast schon bald wieder Nachfolgetechnologien auf dem Markt oder zumindest in der Standardisierung, deren Implementierung rechnet sich aber nur noch in wenigen Fällen im Vergleich zu FTTH. Ich denke, dass UPC schlau beraten ist, auf Glasfaser zu setzen oder zumindest FTTB anzustreben. Diese Strategie sollte zumindest bei Neuerschliessungen konsequent erfolgt werden. Wer heute noch Koaxialkabel als Feed ins Haus zieht, hat bereits verloren. Aber: So ein Glasfaserausbau dauert Jahrzehnte, somit müssen die Kabelnetze weiterhin gewartet und vermutlich auch ausgebaut werden, selbst wenn parallel FTTH ausgebaut wird. Mit jedem Top-Tier-Nutzer resp. Extremnutzer, welcher auf FTTH migriert wurde, verringert sich die Belastung und verlängert sich das Leben des bestehenden Kabelnetzes. Über das bestehende Kabelnetz können die niedrigen Datenraten weiterhin für weniger anspruchsvolle Kunden bereitgestellt werden.
Kabelnetze haben diverse Nachteile:
- massiv überbucht
- anfällig für Störungen
- fragmentiert und inhomogen: je nach Alter, Ausbaustand und Wartung des Kabelnetzes, unterschiedlichste Besitzer und Interessensgruppen
- mehr Bandbreite im Rückweg muss sich über beträchtliche Umbauten im Netz erkauft werden.
- Nur asymmetrische Profile
- Aktuell gebotene Upload Geschwindigkeit (100 Mbit/s) ist nicht mehr konkurrenzfähig mit Glasfaserprodukten.
- Latenzzeiten sind recht hoch und nicht mit Glasfaser vergleichbar. Hier soll DOCSIS Low Latency Abhilfe schaffen, was allerdings erst von den Kabelnetzbetreibern implementiert werden muss.
- Zellteilung (node split) zur Schaffung von Kapazität ist aufwendig und langwierig.
- Monopol: Keine Wahlfreiheit. Keine Vorleistungsprodukte für Mitbewerber wie z.B über BBCS der Swisscom. Ich hoffe auch hier, dass die WEKO bald eingreift. Sicher einer der Alibigründe, warum Kabelnetzbetreiber gerne an ihrem DVB-C festhalten.
Aber auch Glasfasernetze sind nicht ohne Nachteile:
- Goldstandard P2P AON: Ein AON (Active Optical Network) mit P2P-Topologie. Von einem POP (Point of Presece resp. Zentrale) aus werden die einzelnen Haushalte mit 1 - 2 Fasern erschlossen. Es gibt also pro Wohneinheit 1 - 2 Fasern, welche direkt von der Glasfaserdose (OTO Dose) zur Zentrale führen.
- P2MP PON: Vom Goldstandard P2P AON kommen immer wie mehr Anbieter ab. Es wird eine P2MP-Toplogie angestrebt, wo eine Faser von der Zentrale bis in den Keller der jeweiligen Liegenschaft geht. Dort wird die Faser mit einem passiven optischen Splitter auf bis zu 32 Wohnungen aufgeteilt. Somit teilen sich 32 Kunden eine Faser und damit auch die Kapazität dieser Faser. Swisscom und Salt werden nur noch XGS-PON und damit PON verwenden. In den meisten Quickline Gebieten kommt sogar noch GPON zum Einsatz. Das Problem bei diesen Technologien ist, dass sich 32 - 64 Kunden eine Faser teilen. Bei XGS-PON (Salt, Swisscom) werden 32fach Splitter verwendet. Damit ist ein Überbuchungsverhältnis von 32:1 (wenn alle Kunden 10 Gbit/s buchen) quasi fest im Netz einprogrammiert.
- Aber: Trotz allem ist man mit Glasfaser wesentlich flexibler und kann bei Überlastung schneller reagieren, selbst mit P2MP-Topologien. Die Latenzzeiten sind wesentlich geringer. Auch die nicht vorhandene Anfälligkeit für Störungen durch Stromleitungen, Powerline, LTE, Ingress etc. ist ein grosser Vorteil.